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Wenn Fürsorge ausbrennt- Fachkräftemangel in Kita & Co.

  • Autorenbild: Anne-Sophie Mey
    Anne-Sophie Mey
  • 4. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. Aug.

Erschöpfte Frau I Fachkräftemangel

Immer, wenn mich ErzieherInnen anrufen, muss ich fast weinen. Weil ich dann Menschen zuhöre, die ihren Beruf lieben und trotzdem darüber nachdenken, aufzuhören. Nicht, weil sie keine Lust mehr haben. Sondern, weil sie nicht mehr können. Keine andere Berufsgruppe spricht so begeistert über das, was sie tut und klingt gleichzeitig so resigniert, wenn es um die Realität geht. Was ihnen fehlt? Nicht die Motivation. Nicht das Wissen. Sondern Rückhalt. Struktur. Anerkennung.

Der Fachkräftemangel in der Kita & Co. ist das Ergebnis jahrzehntelanger Abwertung von Care-Arbeit und der Menschen, die sie leisten.

Was wir übersehen, wenn wir nur auf Zahlen schauen

In Talkshows, Ministerien und Medien wird der Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung oft technokratisch diskutiert: mehr Ausbildungsplätze, Quereinstiege, Digitalisierungsprojekte. Alles gut gemeint, aber oft an der Realität vorbei.

Bevor wir neue Konzepte ausrollen, müssen wir uns fragen: Warum wollen so viele Menschen diese Arbeit überhaupt nicht mehr machen?

Wer über fehlende Fachkräfte spricht, ohne über fehlende Wertschätzung zu sprechen, bleibt an der Oberfläche. Denn ohne Anerkennung, faire Bedingungen und gesellschaftlichen Rückhalt werden sich auch in Zukunft zu wenige Menschen für diesen Beruf entscheiden, ganz egal, wie viele Programme wir auflegen.


Der Ursprung des strukturellen Ungleichgewichts

Wer verstehen will, warum sich so viele Menschen für einen sozialen Beruf entscheiden und warum sie ihn später wieder verlassen, muss früh anfangen. Nicht bei der Ausbildung. Sondern bei unseren gesellschaftlichen Rollenbildern. Fürsorge gilt in unserer Kultur bis heute als „weiblich“. Als etwas, das man einfach kann oder eben nicht. Mädchen, die ihre Puppen ins Bett bringen, hören: „Du wirst mal eine tolle Mama.“ Jungen hingegen sollen stark sein, sich durchsetzen, bauen, führen.

Was harmlos klingt, wirkt tief. Denn Berufswahl ist selten rein rational. Wer früh für Fürsorge Anerkennung bekommt, empfindet soziale Berufe oft als „passend“. Doch genau diese Berufe sind gesellschaftlich noch immer mit Nachteilen verbunden: Wenig Aufstiegschancen. Wenig Geld. Wenig Respekt.

Und so tragen Frauen bis heute die Hauptlast eines Mangels, den sie nicht verursacht haben.

Als Erzieherin, die täglich über ihre Grenzen geht- Als Mutter, die ihre Arbeitszeit reduziert, weil die Betreuung zusammenbricht– Als junge Frau, die auf eine Führungsrolle verzichtet, weil sie "eh bald schwanger werden könnte.“

Diese Dynamik setzt sich im gesamten Berufsleben fort. Wer sich für soziale Berufe entscheidet, bringt Herz, Haltung und Verantwortung mit, doch genau das wird einem oft zum Verhängnis.

Denn in einem System, das Wirtschaftlichkeit über Menschlichkeit stellt, hat Fürsorge keinen Marktwert.


Wer mit Herz arbeitet, bekommt selten ein gutes Gehalt

Das ist die stille Realität in Care-Berufen: Sie gelten als „Berufung“. Als etwas, das man aus Liebe tut. Und wer liebt, erwartet angeblich keinen Lohn.

Care-Arbeit wird romantisiert und gleichzeitig systematisch abgewertet: - Emotionale Arbeit ist nicht messbar → also scheinbar nicht relevant - Soziale Kompetenz gilt als weich → also verzichtbar - „Das bisschen Spielen“ wird belächelt → also unterbezahlt

Das Resultat: Ein Berufsfeld, das von Anfang an unterfinanziert, unterbesetzt und unterbewertet ist.



Ein systematisch erzeugter Teufelskreis

Was wenig wert ist, will niemand machen. Was niemand machen will, bleibt an wenigen hängen. Was an wenigen hängen bleibt, führt zu Überlastung, Ausfällen und Burnout. Und wer geht, wird durch Quereinsteiger ersetzt, ohne Zeit für Einarbeitung.

So entsteht ein Kreislauf aus Frust, Fachkräftemangel und Fluktuation. Und er ist nicht neu. Er ist hausgemacht. Und er hält sich, weil Care-Arbeit traditionell nicht als „echte Arbeit“ gilt.



Fachkräftemangel in Kita & Co. ist kein Personalproblem

Er ist ein kulturelles Problem. Ein politisches Problem. Ein systemisches Problem.

Und solange wir Fürsorge, soziale Intelligenz und Beziehungsarbeit nicht als zentrale Kompetenzen anerkennen, wird sich daran nichts ändern.

➡️ Was das konkret für den Kita-Alltag bedeutet und was sich ändern muss – darum geht es in der nächsten Kolumne Mitte August.

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